Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Archive for Oktober, 2007

Warum ich Bauarbeiter hasse

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Ich hasse Bauarbeiter. Das war nicht immer so. Als ich klein war zum Beispiel, stand ich, in der einen Hand einen Stein, in der anderen eine Schaufel am Rand der Baustelle zum Neubaugebiet, in dem ich wohnte. Ich wartete und beobachtete. Die Bauarbeiter schachteten eine Grube aus. Mir erschien sie riesig. Die Männer, die da so heftig schaufelten und baggerten trugen staubige Bärte im Gesicht, staubige Hosen und klotzige Schuhe. Sie tranken mittags schon Bier und aßen dazu daumendicke Wurstbrote. Helden der Arbeit. Read the rest of this entry »

Written by Christina

Oktober 30th, 2007 at 3:23 pm

Brief aus Asowo

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„Wenn ich die Augen schließe, bin ich in Deutschland“ 

Erna Karlowa Korbmacher ist aufgeregt. „Ach, ein Foto“, sagt sie und wird rot. „Da muss ich mir doch etwas Hübsches anziehen.“ Mit kleinen, flinken Schritten trippelt die alte Dame durch das Wohnzimmer. Doch ganz leicht sieht man das Humpeln alter Leute auch an ihr.

Erna Karlowa Korbmacher in ihrer Küche.

Ein breites, niedriges Zimmer. Samtige Couches nebeneinander, bunt bemustert, Kissen, Decken darauf gestapelt – wer sich da hinein setzt, versinkt wahrscheinlich tief im bunten Plüschmeer. Ein großer Fernseher in massiver Anbauwand. Dahinter, winzig, das weiß-blaue Zimmerchen der 80-Jährigen. Read the rest of this entry »

Written by Christina

Oktober 24th, 2007 at 7:16 am

Brief Nummer 1

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Keine Perle am Fluss Irtysch

In Omsk zu landen, ist eine Erleichterung. Der dicke Russe mit kargem Haarwuchs in der ersten Reihe muss sich hinsetzen und endlich die Stewardess in Ruhe lassen. Ein paar Minuten bevor das Signal zum Anschnallen aufleuchtete, hat er sie noch angeschrien. Sein Cognac war nicht gut genug, zu teuer, was auch immer. Ein älterer Herr mit stärkerem Haarwuchs und Goldkettchen war eingeschritten. Beinahe hätte es eine Schlägerei vor dem Tor zur ersten Klasse gegeben. Mit leisem Bling machte der Pilot dem ein Ende. Entnervt schubst die Stewardess jetzt ihr Wägelchen den mittlerweile schrägen Gang hinauf. Die Flugzeugheizung in der alten Boeing bollert. Ich schwitze und überlege, was ich noch ausziehen kann, ohne die Ruhe im Luftraum zu gefährden. Read the rest of this entry »

Written by Christina

Oktober 22nd, 2007 at 12:53 pm

Mein Zuhause

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Die Wohnung habe nicht ich gesucht – sie hat mich gefunden. Mir gefällt sie. Man kann darin leben. Hin und wieder zieht es ein bisschen durch die undichten Fenster. In der Küche herrscht ein leichter Gasgeruch. Der Kühlschrank macht Geräusche. Sonst würde er sich wahrscheinlich überflüssig fühlen. Denn etwas anderes als Geräusche machen kann er nicht.

Ich finde es deswegen auch eine große Leistung meines Kühlschrankes, eine H-Milch innerhalb weniger Tage ungeöffnet versauern zu lassen. Bisher ist leider noch nicht der beneidenswerte Umstand eingetreten, dass ich mit meinem Kühlschrank rede. Das liegt zum einen an der Tatsache, dass ich nicht die Kolumnistin einer großen deutschen Tageszeitung bin. Zum anderen vermute ich, wir verstehen einander nur nicht. Er brummt undeutliches Russisch. Ich nuschel morgens unmögliches Deutsch. Wie soll man da zueinander finden?
Über meinen Herd möchte ich an dieser Stelle nur so viel sagen: Brot verschimmelt darin im Bruchteil einer Sekunde. Und: Er macht mir Angst.
Ansonsten ist auf den Bildern doch recht gut zu erkennen, warum ich meine neue Omsker Wohnung mag. Sie liegt hoch oben. Die Sonne scheint mir morgens von zwei Seiten ins Gesicht. Sie liegt im Zentrum oder zumindest nahe dem, was hier allgemein als Zentrum bezeichnet und anerkannt wird.

Written by Christina

Oktober 16th, 2007 at 1:33 pm

Arbeiten in Asowo

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Asowo ist ein langes Kapitel, das ich an dieser Stelle wahrscheinlich auswalzen werde, bis es die Ausmaße von „Krieg und Frieden“ angenommen hat.

Vier Tage in der Woche arbeite ich in Omsk. Am fünften Tag aber setze ich mich in eine Marschrutka und zuckle nach Asowo. Marschrutkas – das sind Kleintransporter für Menschen. Ungefähr acht haben darin Platz. Asowo liegt südlich von Omsk, etwa 45 Kilometer in Richtung kasachische Grenze.

Drei Dörfer und 40 Minuten später erreiche ich die für russische Verhältnisse kleine Siedlung Asowo. Etwa 6000 Menschen wohnen dort an schnugeraden Straßen mitten in der Steppe. Ein frischer Wind weht mir um die Nase. Es riecht nach Dung und den dazu gehörigen Tieren. Am Straßenrand grasen wahlweise Kühe, Ziegen oder Schafe. Scharen von Enten und Gänsen machen schnatternd Ausflüge zum nächsten Schlagloch, um dort einen tiefen Zug abgestandenen Wassers zu nehmen. Hunde liegen bräsig in der Sonne. Landleben eben. Ich bin dort eine Art deutscher Dorfreporter. Glücklicherweise steht mir meine Praktikantin Galia zur Seite, die aus Asowo stammt und weiß, worüber man hier schreiben kann.

Leiter der Redaktion ist Viktor Iwanowitsch Siderenko. Er trägt eine dicke, speckige Hornbrille mit dicken Gläsern. Freitags trete ich in sein Büro – etwa vier Quadratmeter mit Schreibtisch – und erstatte ihm darüber Bericht, was auf der deutschen Seite seiner Zeitung erscheinen wird. Er macht mir daraufhin Komplimente für mein Äußeres und drückt mir ein Probepäckchen Instant-Kaffee in die Hand. Neulich erst meinte er: „Christinotschka, du siehst nicht aus wie eine Deutsche. Wir haben hier diskutiert. Du siehst aus wie eine Ukrainerin.“ Danach durfte ich arbeiten, muss mir aber seitdem Ukrainer-Witze anhören.

Larissa sitzt in dem Raum, in dem auch ich arbeite. Die Frau reicht mir stehend vielleicht bis zur Brust. Sie trägt ihre Haare hochgesteckt und bearbeitet die sozialen Themen in der Zeitung. Ihre Artikel schreibt und redigiert sie mit der Hand. Dann sitzt sie am Fenster, liest leise lächelnd, steckt sich zwischendurch ein Stück Käse zwischen die roten Lippen und streicht das eine oder andere Fehlerchen an. Ist sie fertig, kommt die Korrektorin zum Zug. Die tippt den Artikel ab. Von Computern, sagt Larissa, hat sie keine Ahnung. Dafür von Mode und Parfums. Liest sie nicht ihre Artikel, studiert sie den Avon-Katalog.

Überhaupt der Konsum: Freitag ist nicht nur Christina-Tag in Asowo. Freitag ist auch Basar. Asiatinnen mit dicken Taschen reisen an, breiten ihre Handtücher, Waschlappen, Socken und Teesorten auf dem Diwan im Flur aus und die Redaktion kauft ein.

Mir kam das neulich sehr zugute, weil ich bei minus 20 Grad dummerweise ein Paar Socken zu wenig angezogen hatte und meine Zehen nicht mehr spüren konnte. Wladimir Wladimirowitsch brachte mir Schlappen. Larissa brachte mir heißen Tee und bei den Frauen vom Basar kaufte ich mir knallgrüne, warme Socken. Asowo macht warm ums Herze.

Ansonsten passiert in diesem kleinen Ort, im ganzen Rayon nicht sehr viel. Die Wege sind weit, die Zeit vergeht. Das Leben lebt sich.

Written by Christina

Oktober 16th, 2007 at 1:07 pm

Posted in Alle,Fotos aus Omsk,Russland

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