Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Dämonen in der Hose

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Urlaub zusammengefasst

Ich habs endlich geschafft und meinen Urlaub in ein paar längere Worte gepresst. Hier also der Text. Die Fotos folgen heute abend. Bis dann. Viel Spaß.

Alles begann mit diesem einen Satz: „In Russland kann man doch keinen Urlaub machen“, sagte mein daheim gebliebener Joachim am Telefon. Da ich mich aber weigerte, zum Erholen nach Dresden zu kommen, reiste er ein. Ich wollte ihm beweisen, dass man in diesem riesigen Land schon ein Fleckchen für sein Handtuch oder wenigstens ein heimeliges Plätzchen im Grünen oder allerwenigstens Abenteuer finden kann. Er hatte alle verfügbaren Reiseführer studiert und konnte sich trotzdem für keine Reiseroute entscheiden – das Land ist einfach zu groß. Wir treffen uns in Moskau.

Es ist die Zeit der Ernennungen und Paraden – ernannt wurde Dmitri Medwedew zum Präsidenten, gefeiert wurde der Sieg über Hitlerdeutschland im Großen Vaterländischen Krieg. Medwedews Ernennung verläuft bei trübem Wetter. Der Rote Platz ist gesperrt und gesäumt von schwarzen Mercedes-Limousinen , das GUM hallt von unseren Schritten. Lenin ruht unbeobachtet in seinem Mausoleum. Die Basilius-Kathedrale sieht aus wie eine Geburtstagstorte, von der man nicht kosten darf. Es ist trostlos. Wir gehen zum Promifriedhof und suchten nach bekannten Namen. Wir finden lediglich Gogol und einen Mann, der aussieht wie Mister Spoks Opa.

Am Tag des Sieges scheint die Sonne. Wir verschlafen die Parade. Als wir endlich auf der Straße sind, fahren nur noch Buskarawanen mit jungen, gesunden, fröhlich winkenden Soldaten an uns vorbei. Kehrmaschinen reinigen hinterher. Weil er nichts mehr zu ordnen hat, brüllt ein Polizist asiatische Passanten mit seinem Megaphon an und geht danach sichtlich erleichtert seiner Wege – vermutlich zum nächsten Kasachen.

Auf dem Roten Platz drängt sich das Volk und verteilt Nelken und gesüßte Kondensmilch an seine Veteranen. Die verdienten Damen und Herren haben sich ihre Orden an die Brust geheftet, ihre alten Käppis aufgesetzt und scheinen unter der Last aus Blumen, Geschichte und Süßkram zu versinken. Mein Begleiter fotografiert eifrig und glücklich ob so viel Nostalgie.

Die Reiserute, für die wir uns in der Zwischenzeit entschieden haben, führt weiter von Moskau über Kazan und Omsk nach Irkutsk. Von den drei Wochen Urlaub sollten wir insgesamt sechs Tage in einem Zug verbringen, der nicht die Transsibirische Eisenbahn war.

Auf dem Weg nach Kazan verhandle ich mit einer Verkäuferin über den Preis für zwei Schneekugeln mit Basilius-Kathedrale im Bauch. Eine möchte Joachim als Andenken mit nach Hause nehmen. Die andere ist das Gastgeschenk für die Freundin, bei der wir in der Tatarenhauptstadt wohnen. Wenn man einen kleinen Riegel an ihrem Sockel zur Seite schiebt, leuchtet die Kugel abwechselnd rot, blau und grün. Die dicke alte Dame auf der Platzkartnij-Pritsche gegenüber kauft Gläser, Stift- und Handyhalter aus buntem Plaste. Jedes Stück kostet 100 Rubel. Am Ende ist die alte Dame um 1000 Rubel, etwa 30 Euro, ärmer. „Alles für die Enkel“, sagt sie und schnauft vor Erschöpfung. Dann verstaut sie ihren glitzerbunten Schatz unterm Sitz.

Wir kommen morgens um zwei in Kazan an. Anne holt uns ab. Bis die Sonne aufgeht sitzen wir in ihrer Küche, essen Pelmeni, trinken Wodka und erzählen. Dann gehen wir schlafen. Nach dem Aufstehen hätten wir zum Beispiel nach Uljanowsk fahren können, dem Geburtsort von Lenin. Stattdessen sitzen wir weiterhin in der Küche, erzählen, essen und trinken sehr traditionell russisch.

Anne arbeitet an der Universität. Sie hatte mich eingeladen, am folgenden Tag mit ihren Studenten über journalistisches Arbeiten zu sprechen. Ich erfahre dabei Folgendes: In der Republik Tatarstan gibt es drei Personen, die man höchstens lobend in Artikeln und Beiträgen erwähnen sollte. Das sind die wichtigsten Mitglieder der regierenden Sippe. „Sonst wird man erschossen“, sagt ein hübsches Mädchen mit langen dunklen Haaren und klimpert unschuldig lächelnd mit den Lidern. Deswegen möchte sie nur Moderatorin werden. „Aber wenn es viele sind und immer mehr werden, die sich kritisch äußern – sie können doch nicht alle erschießen“, wende ich sehr idealistisch ein. Beredtes Schweigen. Darauf fällt auch mir nichts mehr ein. Wir verlassen Kazan.

Omsk – „Ein Jahr reicht wirklich“, sagt Joachim und lässt die Kamera sinken. Er lässt auch noch die Stichworte „Ruhrpott“, „Industrie“, „Feinstaub“ und „Dreck“ in verschiedenen Kombinationen und Zusammenhängen auf die Straße fallen. Wir machen einen Ausflug zum etwa 50 Kilometer entfernten Achair-Kloster und picknicken unter blühenden Apfelbäumen am Ufer des Irtysch. Es ist lauschig. Außer uns sind nur noch zwei mürrische Nonnen auf dem Gelände, das früher einmal ein Gulag war.

Meine Russischlehrerin Olga hatte mich gewarnt – leider erst nach meinem Urlaub. „In den Osten“, sagte sie, „fährt man nur Coupe, niemals Platzkart.“ Nur Arme, Säufer und Schläger würden mit der günstigsten Alternative reisen. Ganz so schlimm war es dann doch nicht.

Wie er hieße und ob er saufen könne wie ein Russe, fragt Kostja den verdutzten Joachim, als wir das Abteil betreten. Wir wollen weiter nach Irkutsk. Kostja packt den Selbstgebrannten aus. Am frühen Abend sackt er auf seiner Pritsche zusammen. Sein Kopf ruht im Schoß der Frau direkt neben ihm. Die schiebt den Brocken ein Stück zu Seite. Wir haben bis auf weiteres unsere Ruhe. Am nächsten Morgen das gleiche Spiel. Nach zwei Tagen Ankunft in Irkustk.

Der Baikalsee liegt etwa 70 Kilometer von Irkutsk entfernt. Man kann natürlich selbst in eine Marschrutka steigen und einfach hinfahren. Es gibt aber auch Exkursionen mit der Eisenbahn. Die tuckert dann im Schneckentempo auf einer uralten Strecke ein Stück von 100 Kilometern am See entlang und braucht dafür einen Tag. Alle 100 Meter steigt die Reisegruppe aus und schaut sich etwas Sehenswertes an. Reiseführerin Tanja hängt sich ihr Megaphon über die Schulter, singt eine kleine Melodie ins Mikro und beschreibt dann, was man sieht. Unsere russischen Mitexkursianten fotografieren sich gegenseitig freundlich lächelnd vor der Kulisse. Es gäbe wohl auch Bären hier, sagt eine Frau, die Holzhütten an Baikal-Touristen vermietet. Neulich erst habe sie eine Bärin mit Jungem gesehen. Leider bleibt uns dieser Anblick verwehrt. Zu viel Nebel.

Unsere Bummelzugnachbarn feiern derweil die Schönheit des Sees. Uns kredenzen sie Wodka, in dem Kiefernadeln eingelegt sind – ein original sibirisches Gebräu. Danach sind wir froh, dass wir überhaupt noch etwas sehen.

Wir bleiben vier Tage in Irkutsk. Danach ist der Urlaub vorbei. Ich bleibe in Russland, Joachim fliegt zurück. In seinem Gepäck meine Wintersachen. Gemeinsam fahren wir zurück nach Omsk.

Auf der Fahrt dorthin erzählen mir drei betagte, streng orthodoxe Frauen, dass in meiner Hose exakt 1200 Dämonen leben. Unter einem Rock bliebe dagegen alles leer. Ich frage besser nicht, wie das gehen kann. Sie füttern mich mit Quark und Honig. Es gebe außerdem dreißig mächtige Juden auf dieser Welt, die die Herrscher der Staaten in einem Blutritual auf ihre Linie einschwören. Medwedew wurde von ihnen gewählt, Putin sowieso. Nur Lukaschenko, der wehre sich erfolgreich, der gute Mann. Und Kohl und Merkel sind auch Juden. „Ist Joachim nicht ein jüdischer Name“, fragt eine und greft nach der Ikone, die sie ans Fenster gestellt hatte. Ich löffel stumm meine Schüssel leer. Was soll man dazu auch sagen?

Joachim versteht zum Glück nichts. Er nippt an seinem Tee. Am Fenster zieht die russische Landschaft vorbei: Birken, Holzhäuser, Kiefern. Am Schienenstrang kokelt altes Gras. Es wird Sommer in Sibirien. „War gar nicht so schlecht“, sagt er. „An den Baikal fahren wir noch mal.“ Dabei würd ich so gern mal wieder nach Italien.

Written by Christina

Juni 18th, 2008 at 11:07 am

2 Responses to 'Dämonen in der Hose'

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  1. hebräischer Rufname => „Gott wird aufrichten“

    Erstes bekanntes Vorkommen:
    Joachim (um 1359), Jachim (um 1530)

    Joachim aus Halle

    23 Jun 08 at 10:02

  2. das klingt doch verheißungsvoll 😉

    Christina

    23 Jun 08 at 10:06

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