Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Nachtigall in Asowo

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Vom Singen und Tanzen

Vor ein bisschen mehr als einer Woche fand in Asowo das Festival „Nachtigall“ statt. Kinder singen dort in einer Sprache, die oft an das Deutsche erinnert und tanzen Tänze, die gut auf dem Oktoberfest aufgehoben wären. Ich war für die Rayonpostille „Ihre Zeitung“ dort. Hier das Machwerk.

Der Einmarsch der Tänzer und Sänger verlief stürmisch. Röcke bauschten sich im Wind, Taft raschelte wie das Laub an den Bäumen. Strähnchen lösten sich aus Frisuren, zuvor noch kunstvoll geflochten, gesteckt und mit Haarspray verklebt. Ein Unwetter rollte heran, während sich mehr als 400 Kinder versammelten, um das Festival «Nachtigall» zu eröffnen.

«Nachtigall» startet auf einem kleinen Fleckchen Erde, das aussieht, als wäre es aus der Zeit gefallen. In Popowka, einer Ortschaft bei Sosnowka, zwischen Asowo und Omsk, steht das Ferienlager Druschba – Freundschaft. Druschba hat seine besten Tage bereits hinter sich. Das Rot und Gelb und Grün und Blau blättert schon von seinen Rutschen, Schaukeln und Klettergerüsten. Das Gras steht wadenhoch. In den Unterkünften ist es klamm-kühl. Manche wirken, als seien sie aus Pappe und Blech gebaut nur für diesen einen Anlass.

Bildtafeln am Wegrand dokumentieren das disziplinierte Freizeitleben eines braven Pioniers. Lediglich das blaue oder rote Halstuch haben die strebsamen Papphelden abgelegt. Ihr Käppi tragen sie noch. Aber Pionierzeit war gestern. Doch die Traditionen sind geblieben: Viele Kinder für ein Wochenende ins Feriencamp zu schicken, um sie dort so sinnvolle Dinge wie sich verkleiden, Singen und Tanzen üben zu lassen.

«Nachtigall», das Festival, findet zum achten Mal statt. Es wechselt sich jährlich ab mit dem Festival «Maiglöckchen», das den gleichen Inhalt aber einen anderen Namen hat. Aus dem gesamten Omsker Verwaltungsgebiet sind Kinder und Jugendliche angereist, aus Halbstadt und Novosibirsk. „Die Schüler sollen sich kennen lernen, gemeinsam spielen, sich gegenseitig zeigen, was sie gelernt haben und voneinander lernen“, sagt Julia Neifelz, Mitorganisatorin und Direktorin des Omsker Russlanddeutschen Kulturzentrums.

Ausgedacht haben sich die Veranstaltung vor zwölf Jahren Viktor Blaginin, stellvertretender Landrat des Rayons Asowo und sein Bildungs-verantwortlicher Oleg Süß. „Damit sie die deutsche Kultur und Sprache pflegen, damit sie ihre Wurzeln nicht vergessen“, sagt der Stellvertreter. Oleg Süß steht daneben und nickt heftig. Die beiden Männer sind sehr stolz auf ihre Idee.

Blaginin eröffnet die Veranstaltung: „Wir haben ein gemeinsames Ziel“, ruft er in seiner Eröffnungsansprache den Kindern zu, „und Freundschaft ist unser Erfolg!“ Der kleine Mann mit der Brille streut noch ein paar deutsche Floskeln in seine Rede ein. Dann wird er lauter: „Alle zusammen“, ruft er, „Freundschaft ist unser Erfolg.“ Dreimal wiederholen die Schüler den Satz, steigern sich in der Lautstärke. Dann pladdert der Regen. Kreischend, die Röckchen geschürzt rennen die Mädchen in ihre Blechpappschachteln.

Nur eine kleine Tänzer-Sänger-Delegation huscht durch Pfützen und Matsch zu den Bussen und fährt nach Omsk. In Omsk findet die „Nachtigall“-Eröffnungsgala statt. Am kommenden Tag reisen dann alle gemeinsam von Popowka nach Asowo. Dort im Kulturhaus treten sie zur „Nachtigall“-Abschlussgala auf. Insgesamt sind es 36 Gruppen.

Maria Sbepanowna sitzt im Zuschauerraum. Eine blonde Dame mit gerader Haltung. Seit zwölf Jahren schaut sie sich jede Veranstaltung an: «Man muss doch sehen, was der Feind macht», sagt sie. Mit Feind meint sie alle anderen Gruppen außer den Ensembles aus Asowo. «Meine Tochter Marina Zhuzhkowa leitet die Tanzgruppen», sagt die Mutter. «Früher hat sie selbst getanzt, jetzt macht sie die Choreografie. Dann lehnt sich Frau Sbepanowna sehr gespannt zurück. Die Show beginnt.

Das Programm ist einfach gestrickt: Tanz folgt auf Lied folgt auf Tanz folgt auf Lied. Zwischendurch gibt der Leiter des Theaterclubs Asowo Alexej Steier den als Narr verkleideten Prinzen, der das Herz einer Prinzessin erobern möchte – die wohl schwächste und am wenigsten unterhaltsame Darbietung des Tages. Die Kinder erwiesen sich als die weitaus besseren Unterhalter auch wenn sie gleich zweimal sehr ähnliche, vor allen Dingen quietschebunte Choreografien zum deutschen Lied «Gummibär» auf die Bühne brachten. Sie gaben trotzdem engagiert die gymnastischen Clowns zum eher sinnfreien musikalischen Hintergrund.

Die Gruppe «Magnolia» aus Asowo sang «Ein bisschen Frieden» – ausgerechnet das Lied, mit dem 1982 die Sängerin Nicole den European Eurovision Contest für Deutschland gewann. Es war das erste und einzige Mal, dass sich Deutschland dort einen Sieg ersingen konnte.

Der zehnjährige Nikita Nikitin muss noch ein bisschen üben bis er wie Dima Bilan für Russland antreten und den Sieg holen kann. Der Junge steht im schicken Anzug auf der Bühne. Lediglich eine beleibte Frau begleitet ihn auf der Zieharmonika. Nikita singt «Komm lieber Mai und mache», die Frühlingssehnsucht einst vom deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe formuliert. Nikita singt bis zur Schmerzgrenze. «Oh wie schön», freut sich dennoch Maria Sbepanowna, Mutter der Tanzlehrerin. «Der Junge wird mal ein großer Sänger, Manieren hat er jetzt schon.»

Und so wachsen Talente heran beim Festival «Nachtigall». Die einen treten bereits in professionellen Wettbewerben an wie das Tänzerpaar Dascha und Pascha Barleben oder werden eines Tages selbst die Trainer der Kinder. Die anderen mögen das Einfache, setzen sich Blümchenkronen auf den Kopf und singen ein nettes Kinderlied wie die beiden Frühlingsbotinnen Angelika und Nastja aus Tara. In zwei Jahren sind sie wieder dabei und zeigen, was sie Neues gelernt haben. Bleibt zu hoffen, dass sich die Erwachsenen Darsteller bis dahin ein Beispiel nehmen.

Written by Christina

Juni 19th, 2008 at 10:39 am

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