Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Alexandrowka

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115 Jahre Einsamkeit

… und Hitze, zumindest im Sommer. Und am vergangenen Sonnabend, als Geburtstag gefeiert wurde und sogar ich eingeladen war zur Sause auf dem Sportplatz bei 40 Grad Hitze.

Es gab Schaschlick, frisch gegrillt von braun gebrannten, angerußten Männern mit Schnurrbart. Es gab russland-deutschen Kuchen und kühle, süße Suppe mit Pflaumen- und Aprikosenstückchen. Die Landarbeiter präsentieren ihre Geräte, die alten und die neuen, auf dem Sportplatz. Die „Deutsche Bäckerei“ marschierte auf, jeder, der wichtig ist in diesem 5000-Seelen-Ort, zeigte sich. Nur wenige Menschen saßen noch auf der Tribüne, die meisten standen davor.

Es gab Versprechen: In fünf Jahren hat jedes Haus einen Wasseranschluss, in fünf Jahren sind die Straßen repariert und befahrbar. In fünf Jahren ist alles besser. Spätestens in sechs.

Ein Betrunkener taumelte dann vor der Zuschauertribüne herum und beschimpfte die Administration im Schatten. „Ständig versprecht ihr nur, gehalten habt ihr nichts. Guckt euch die Geschenke an, die ihr hier verteilt. Ich hab für sowas kein Geld.“ Dann kam erst ein kräftiger Mann, doppelt so breit wie der Suffi und packte ihn am Arm und schubste ihn auf den Boden. Dann kamen die Polizisten angeschlendert. Aber da hatte sich der Betrunkene schon gerappelt.

Ich hörte deutsche Satzfetzen: „Ja, dann hat der Hiltler die Straßen von den Juden bauen lassen“, in einem Dialekt, den es in Deutschland nicht mehr gibt. Oder: „Auf seine Arbeit muss man auch stolz sein dürfen.“

Die Männer im Kaffee stoßen an bei 30 Grad Wärme im Raum. Sie toasten und toasten und finden kein Ende. Ich bleibe bei Wasser. Gegen vier fahren wir zurück in die Stadt. Das Auto ist klimatisiert.

Written by Christina

Juli 14th, 2008 at 9:13 am

3 Responses to 'Alexandrowka'

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  1. …..was ist mit …..EINSAMKEIT…. gemeint??? Ich habe Alexandrowka als ein schönes deutsches Dorf in Erinnerung , machte da 1983 mein Praktika, hatte auch viele nette Leute kennengelernt, viele ehmalige deutsche Dorfbewohner leben heute in Deutschland. Alexandrowka gehört zu den ältesten deutschen Dörfer in Sibirien. Wenn dieser Bericht auch für eine Zeitung gedacht ist, finde ich es schade……nur das Essen , einen Betrunkenen und einige Sprüche zu erwähnen . Mit so einem Bericht kann man sich über ein sibirisches deutsches Dorf( wenn auch heute nicht so viele Deutsche da leben) kein Bild machen, vor allem für die jenige die Sibirien und Russlanddeutsche-Geschichte nicht kennen.

    maria

    14 Jul 08 at 23:33

  2. liebe maria,
    dieser bericht ist für meinen blog gemeint. für eine zeitung ist er zu kurz und inhaltlich zu knapp umrissen und funktioniert auch nur mit den bildern.
    „115 Jahre einsamkeit“ ist erstens eine anspielung auf den Roman von gabriel garcia marquez „100 jahre einsamkeit“ und kam mir zweitens angesichts der weite der steppe – im umkreis gibts nicht so viel – in den sinn. mir ist schon klar, dass dieser beitrag nicht über die russlanddeutschen, ihre geschichte, ihre probleme damals und heute berichtet. aber ich denke doch, dass er dafür sensibilisiert und ein kleines puzzleteil im ganzen repertoire dieses blogs ist. abgesehen davon ist ein blog ja immer noch höchst subjektiv, weil internettagebuch. das wiederum bedeutet, ich schreibe, was ich wahrnehme und beschreibe, wie ich es wahrnehme.
    für einen ordentlichen artikel recherchiere ich mehr und gebe nicht nur die menüfolge und die aussagen besoffener wieder. und da gebe ich mir, versprochen, mehr mühe.
    ich denke, diesen text kann man am ehesten mit den kleinen filmchen vergleichen, die man mit seiner digicam schießen kann: nicht lang, ein bisschen verwackelt und unscharf. ich hoffe, trotzdem interessant.
    danke für deine anmerkungen. ich freu mich auf weitere. bis bald,
    viele grüße aus omsk,
    christina.

    Christina

    15 Jul 08 at 07:27

  3. Ich bin selber in diesem Dorf geboren und habe dort 3 Jahre gelebt, lebe nun in Deutschland aber war zwei mal zu Besuch bei Verwandten und ich freue mich jederzeit wenn ich was höre von dem Dorf oder hoffe bald wieder dort hin zu können. Die Vergangenheit kenne ich nicht wie das Dorf entstand doch ich fühle dort ist meine Heimat und trotz der nicht so guten Umstände fühle ich mich wohl. Gerne würde ich noch viel mehr über die Geschichte von „Alexandrowka“ erfahren.

    Alex

    28 Jun 11 at 23:52

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