Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

26. Juli

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Ankunft in Neudatschino

Fahre etwa zwei Stunden von Omsk in das russlanddeutsche Dorf Neudatschino im Novosibirsker Oblast. Ankunft gegen Mittag. Jakob Pankratz, Leiter des Russlanddeutschen Hauses in Novo holt mich ab. Man sagte, die Menschen aus Neudatschino sprechen noch Plattdeutsch. Das stimmt.

Im knallroten Moskwitsch – Retro sagt Jakob – jockeln wir die 50 Kilometer von Tatarsk zum Dorf. Die Geschichte der Mennonitengemeinde in Neud. in Kurz (Version Pankratz): Flüchtlinge, Angehörige des protestantischen Mennonitenglaubens aus Deutschland kommen über Holland in die Ukraine. Sie siedeln, betreiben Landwirtschaft und vermehren sich sagenhaft. Der Platz wird zu klein und die ersten werden nach Sibirien entsandt, um zu gucken, ob da mehr zu machen ist. Dort verschenkt Zar Peter Land.

Die Entsandten kommen nach einem Jahr zurück, erzählen vom kalten Winter, Bären und Frost und von fruchtbarem Boden. Die ersten Familien siedeln um. „Wenn der Mennonit in der Erde graben kann, reicht ihm das schon“, bringt es Jakob auf den Punkt. Bis 1990 lebten in dem Ort beinahe ausschließlich Mennoniten und Baptisten. Bis heute haben mehr als die Hälfte der ursprünglichen Einwohner das Dorf verlassen. An ihre Stelle kamen Umsiedler aus Kasachstan. Die sprechen kein Platt, meistens auch kein Deutsch. Etwas mehr als 500 Einwohner leben heute dort.

Als ich ankomme, feiert das Dorf seinen Geburtstag im Kulturhaus mit einem ausführlichen Gesangsprogramm und Auszeichnung der verdienten Bürger – also allen.

Ziehe ein bei der Direktorin der Mittelschule – Olga Wassiliewna. Nette Frau, Russin, ihr Mann Russlanddeutscher, Umsiedler aus Kasachstan. Sie, ihr Mann, ihre Tochter, ihr Sohn Schwiegertochter, Schwiegersohn und Oma, nehmen mich mit zum Schaschlikessen im Birkenwald. Die Männer braten das Schaschlik in einer Erdgrube. Wir essen das Fleisch, später essen die Mücken uns. Mit Wodka stoßen wir auf meine Ankunft an.

Später waschen in der Banja. Das bedeutet Beschöpfen in einer kleinen Holzhütte auf dem Hof. Schwiegersohn Jura hat ordentlich eingeheizt. Bin sehr sauber danach. Tanja, die Tochter, fragt trotzdem, warum ich so wenig Wasser genommen hätte. Der Holzboden sei gar nicht richtig nass. Groß und Klein auf dem Plumsklo im Garten. Zwei Hofhunde überwachen die Prozedur.

Abends Disko im Kulturhaus. Die Jugend tanzt zu Popsa. Von zehn bis zwölf geht die Veranstaltung. Danach Wettkampf draußen im Gewichtheben, Armdrücken und Tauziehen. Ich ziehe mit und wir gewinnen. Auf dem Heimweg erneute Mückenattacke. Tiere so groß wie kleine Schmetterlinge saugen an mir. Ich jammer – sie fressen mich. „Du stehst doch noch“, sagt Olga. Danach sag ich nicht mehr. Leise an die Waden klatschend gehe ich mit ihr nach Hause. Schlafe wie schon lange nicht mehr. Kein Kühlschrank im Zimmer.

Neudatschnik ist der Pechvogel im Russischen. Kaum zu glauben.

Written by Christina

August 4th, 2008 at 4:04 pm

3 Responses to '26. Juli'

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  1. Und wo ist der Honig? 🙁

    Claudia

    5 Aug 08 at 12:40

  2. Bin schon still…hab begriffen, daß da noch mehr kommt *hüstel*

    Claudia

    5 Aug 08 at 12:41

  3. geduld, geduld 🙂

    Christina

    5 Aug 08 at 15:36

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