Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Arbeiten in Asowo

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Asowo ist ein langes Kapitel, das ich an dieser Stelle wahrscheinlich auswalzen werde, bis es die Ausmaße von „Krieg und Frieden“ angenommen hat.

Vier Tage in der Woche arbeite ich in Omsk. Am fünften Tag aber setze ich mich in eine Marschrutka und zuckle nach Asowo. Marschrutkas – das sind Kleintransporter für Menschen. Ungefähr acht haben darin Platz. Asowo liegt südlich von Omsk, etwa 45 Kilometer in Richtung kasachische Grenze.

Drei Dörfer und 40 Minuten später erreiche ich die für russische Verhältnisse kleine Siedlung Asowo. Etwa 6000 Menschen wohnen dort an schnugeraden Straßen mitten in der Steppe. Ein frischer Wind weht mir um die Nase. Es riecht nach Dung und den dazu gehörigen Tieren. Am Straßenrand grasen wahlweise Kühe, Ziegen oder Schafe. Scharen von Enten und Gänsen machen schnatternd Ausflüge zum nächsten Schlagloch, um dort einen tiefen Zug abgestandenen Wassers zu nehmen. Hunde liegen bräsig in der Sonne. Landleben eben. Ich bin dort eine Art deutscher Dorfreporter. Glücklicherweise steht mir meine Praktikantin Galia zur Seite, die aus Asowo stammt und weiß, worüber man hier schreiben kann.

Leiter der Redaktion ist Viktor Iwanowitsch Siderenko. Er trägt eine dicke, speckige Hornbrille mit dicken Gläsern. Freitags trete ich in sein Büro – etwa vier Quadratmeter mit Schreibtisch – und erstatte ihm darüber Bericht, was auf der deutschen Seite seiner Zeitung erscheinen wird. Er macht mir daraufhin Komplimente für mein Äußeres und drückt mir ein Probepäckchen Instant-Kaffee in die Hand. Neulich erst meinte er: „Christinotschka, du siehst nicht aus wie eine Deutsche. Wir haben hier diskutiert. Du siehst aus wie eine Ukrainerin.“ Danach durfte ich arbeiten, muss mir aber seitdem Ukrainer-Witze anhören.

Larissa sitzt in dem Raum, in dem auch ich arbeite. Die Frau reicht mir stehend vielleicht bis zur Brust. Sie trägt ihre Haare hochgesteckt und bearbeitet die sozialen Themen in der Zeitung. Ihre Artikel schreibt und redigiert sie mit der Hand. Dann sitzt sie am Fenster, liest leise lächelnd, steckt sich zwischendurch ein Stück Käse zwischen die roten Lippen und streicht das eine oder andere Fehlerchen an. Ist sie fertig, kommt die Korrektorin zum Zug. Die tippt den Artikel ab. Von Computern, sagt Larissa, hat sie keine Ahnung. Dafür von Mode und Parfums. Liest sie nicht ihre Artikel, studiert sie den Avon-Katalog.

Überhaupt der Konsum: Freitag ist nicht nur Christina-Tag in Asowo. Freitag ist auch Basar. Asiatinnen mit dicken Taschen reisen an, breiten ihre Handtücher, Waschlappen, Socken und Teesorten auf dem Diwan im Flur aus und die Redaktion kauft ein.

Mir kam das neulich sehr zugute, weil ich bei minus 20 Grad dummerweise ein Paar Socken zu wenig angezogen hatte und meine Zehen nicht mehr spüren konnte. Wladimir Wladimirowitsch brachte mir Schlappen. Larissa brachte mir heißen Tee und bei den Frauen vom Basar kaufte ich mir knallgrüne, warme Socken. Asowo macht warm ums Herze.

Ansonsten passiert in diesem kleinen Ort, im ganzen Rayon nicht sehr viel. Die Wege sind weit, die Zeit vergeht. Das Leben lebt sich.

Written by Christina

Oktober 16th, 2007 at 1:07 pm

Posted in Alle,Fotos aus Omsk,Russland

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2 Responses to 'Arbeiten in Asowo'

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  1. Der Trend hat einen Namen: Go East!
    Nach dem Abi ist unsere Tochter für ein Jahr auch in Omsk. Die Hilfe bei der Charitas scheint ähnlich bunt zu sein. Zumindest lassen das ihre Berichte schlussfolgern.

    Uns Eltern erfasst zunehmend Neugier auf Rußland, seine Leute und Kultur.

    Bin durch den SZ-Artikel aufmerksam geworden.

    Tschüß

    Stephan

    Stephan Pietzonka

    2 Nov 07 at 22:20

  2. Also ich muss sagen für in Russland lebende, können Sie ja hervorragend deutsch. Ich komme selbst aus der Umgebung des Asowo-Kreises und spreche selbst hervorragend deutsch, auch wenn ich Deutschland lebe.
    Trtzdem RESPEKt haben verdient

    xy

    3 Nov 07 at 00:24

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