Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Warum ich Bauarbeiter hasse

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Ich hasse Bauarbeiter. Das war nicht immer so. Als ich klein war zum Beispiel, stand ich, in der einen Hand einen Stein, in der anderen eine Schaufel am Rand der Baustelle zum Neubaugebiet, in dem ich wohnte. Ich wartete und beobachtete. Die Bauarbeiter schachteten eine Grube aus. Mir erschien sie riesig. Die Männer, die da so heftig schaufelten und baggerten trugen staubige Bärte im Gesicht, staubige Hosen und klotzige Schuhe. Sie tranken mittags schon Bier und aßen dazu daumendicke Wurstbrote. Helden der Arbeit.

Helden der Arbeit, die Punkt fünf Uhr einpackten, nach Hause stiefelten und mich mit der riesigen Baugrubenruhe allein ließen. Das war meine Zeit. Jetzt durfte ich mich groß und heldenhaft fühlen. Gelbe Plaste kratzte am schwarzen Boden. Es roch nach Regenwürmern und Gras. Ich unternahm meine ganz eigene Reise zum Mittelpunkt der Erde. Um mich herum beruhigende, kleinstädische Stille.

Mag sein, meine Erinnerung an Bauarbeiter ist verklärt.

Doch seit ich in Omsk lebe hasse ich Bauarbeiter. Ich stehe nicht mehr an der Grube und harre der Stille, die da kommen mag. Sie kommt nicht. Omsker Bauarbeiter machen keinen Feierabend. Sicher, sie trinken Bier. Sie schaufeln und sie baggern, kratzen sich im krustigen Nacken und sinnieren gemeinsam am Loch. Aber sie hören nicht auf. Nicht mittags, nicht abends, nicht nachts.

Krachend reißen sie die Straße vor meinem Haus auf. Stöhnend und ungeölt schaufeln Bagger Sand. Donnernd verteilt sich der Kies im Graben. Knallend, ratternd und grollend passieren Geräusche mein geschlossenes Fenster. Sie dienen nur einem Zweck – sich selbst. Meine Straße eine einzige rissige, kaum verheilte, morgens dampfende Wunde, in die sich die Omsker Bauarbeiter wieder und wieder hineinhacken wie gierige Maden.

Ich kann nicht mehr schlafen. Seit vier Wochen lausche ich. Und gestern Nacht sehe ich mich mit Schaufel in der einen Hand und Stein in der anderen an einer Grube stehen. Im Loch vor mir liegt ein Bauarbeiter. Die Augen geschlossen. Auch Helden der Arbeit müssen irgendwann einmal ruhen.

Written by Christina

Oktober 30th, 2007 at 3:23 pm

7 Responses to 'Warum ich Bauarbeiter hasse'

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  1. Hallo nach Omsk – ich bin gespannt auf Deine weiteren Berichte!
    Grüße aus Bautzen/Sachsen

    Reiner

    2 Nov 07 at 15:17

  2. Hallo Christina!
    Du hast es wirklich nicht einfach da. Ich hab heute in der Sächsischen Zeitung auf Seite 3 von Dir gelesen. Ich finde Dein Projekt sehr interssant. Man erfährt ja hier in Deutschland so gut wie nichts über die Lebensumstände in Russland. Ich werde deine Briefe auf dieser Seite mit großem Interesse weiterverfolgen.
    Viele Grüße

    Tobias

    2 Nov 07 at 15:30

  3. Wasn hier los? So viele Fremde? Cool. Auch ich lese weiter… und freue mich!

    Joachim aus Halle

    3 Nov 07 at 22:16

  4. Hallo Christina!
    Ich drück Dir ganz doll die Daumen, dass du mal wieder richtig schlafen kannst und damit dein Optimismus wieder durchkommt. Die frech-ironische Note in Deinen Texten ist gottseidank geblieben. Leider vermisse ich in der SZ den Prominentenstadl (schon eine ganze Weile!). Bist Du deshalb auch verärgert und somit nach Russland verduftet?
    Sei tapfer – Russland ist groß und Moskau ist weit…
    Viele Grüße aus Dresden!

    Klaus

    4 Nov 07 at 11:39

  5. Ähm… Ja, bin sprachlos! Ja, auch ich habe die Seite 3 gelesen. Das beeindruckt mich alles echt sehr und ich denke das diese Erfahrungen dein Leben prägen werden. Mich interessiert wie du darauf gekommen bist gersde nach Russland zu reisen!? Ich hoffe ich kann in Zukunft noch viel von dir lesen. Ich finde deinen sarkastischen Schreibstil einfach genial!
    Grüße aus Bautzen

    Markus

    4 Nov 07 at 15:15

  6. Ein fröhliches Privjet aus München nach Omsk!
    Deine Briefe aus Omsk klingen sehr interessant aber auch etwas beängstigend. Ich werde im nächsten Frühjahr für ca. 3 Jahre nach Tjumen gehen. Auf eine Baustelle :-)). Ich versuche viel über die Stadt / Gegend im Netz rauszubekommen, aber über das wahre Leben findet man natürlich nichts. Und ich mache mir viele Gedanken über das was mich erwarten kann. Ich bin auch ein Zonenkind, kenne die Ivans aus unseren zahlreichen Kasernen und meine Russischkenntnisse krame ich allmählich wieder hervor.
    Ich bin sehr gespannt auf das, was du noch so schreiben wirst und freue mich jetzt schon auf nackige Babuschkas in Tjumen 😉
    Auf was muß man sich denn im Supermarkt einstellen? Westliche und russische Produkte gemischt oder muß man erstmal wochenlang undefinierbares testen? Viele Grüße und viel Erfolg weiterhin!

    Claudia

    4 Nov 07 at 20:48

  7. @Klaus
    freut mich zu hören, dass du das Promistadl gern gelesen hast. Ich habs auch gern geschrieben. Aber alles hat seine Zeit und irgendwann sind die Ideen alle. Und für den Rest meiner Tage über Britney-Spears zu schreiben – das kann es doch auch nicht sein. Also, mir hat niemand das Stadl weggenommen, ich hab es eher weggegeben. Tat mir aber auch ein bisschen leid.
    Also dann, viele Grüße, Christina.

    Christina

    7 Nov 07 at 08:19

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