Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Leser

4 comments

Ein Leserbrief:img_52392img_52402

Zur Erklärung:

Heinz Erhardt „Anhänglich“

Das Kind hängt an der Mutter,
der Bauer an dem Land,
der Protestant an Luther,
das Öbild an der Wand.

Der Weinberg hängt voll Reben,
der Hund an Herrchens Blick,
Der eine hängt am Leben,
der andere am Strick…

Und hier der Beitrag, um den es sich handelt, erschienen am 14. Februar im Magazin der Sächsischen Zeitung:

Wieviel ist Liebe geteilt durch sieben, Frau Altenhöfer?

Gwendolin Altenhöfer, 35, hat ein ungewöhnliches Liebesleben, nicht nur zum Valentinstag an diesem Sonnabend: Die Pädagogin ist lesbisch und pflegt ernsthafte Beziehungen zu sieben Frauen, das heißt, sie lebt „polyamor“.

Für Gwendolin Altenhöfer könnte der Valentinstag teuer werden. Eine zierliche Person in Schlabberjeans, karierte Bluse unter schwarzem Pollunder, die kurzen grauen Haare unter einer blauen Mütze versteckt, auf der Mütze eine orange Krake aus Plastik – so steht sie vor ihrem Publikum und hält sich an losen A 4-Blättern fest. Dann lächelt sie keck und sagt: „Heute möchte ich euch von meinem polyfidelen Leben erzählen, von meiner Schlampenkultur.“ Altenhöfer pflegt nämlich sieben Beziehungen gleichzeitig. Und zwar zu Frauen.
Das Publikum im Leipziger RosaLinde-Verein ist gespannt. Etwa 30 Gäste sind in die Räume der Begnungsstätte für Lesben, Schwule, Transsexuelle – also eigentlich für alle – gekommen. Thema des Vortrags: „Über Eifersucht und Resonanzfreude.“ So richtig kann niemand etwas mit dem Titel anfangen. Altenhöfer, die sonst in der Erwachsenenbildung arbeitet, blättert in ihren Aufzeichnungen und versucht zu erklären, wie man Eifersucht abbauen kann und sich lieber darüber freuen sollte, wenn der Mensch, den man gern hat, noch jemand anderen liebt und dadurch glücklich ist.
Die Leipzigerin lebt „polyamor“. Das heißt, sie erlaubt sich und ihren Lieben, sich in andere zu vergucken. Auch: mit fremden ins Bett zu gehen. Für diese offene Form der Beziehung gibt es berühmte Vorbilder. Schon dem Schriftsteller- und Denkerpaar Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir wird nachgesagt, sich so genannte Zufallslieben gestattet zu haben.
Seit den 90ern gibt es eine polyamore Bewegung. Anders als bei der freien Liebe der 60er-Jahre geht es nicht darum, mit möglichst vielen Partnern zu schlafen. Polyamory, so der englische Begriff, ist so ernst gemeint wie die klassische Zweierbeziehung, ausgedehnt auf einen größeren Kreis. Seit etwa zwei oder drei Jahren steigt die Zahl der Menschen, die so leben, sagt Altenhöfer. Zahlen kann sie nicht nennen.
Früher war Altenhöfer schüchtern. Mit 20 hatte sie ihr Coming Out als Lesbe. „Was ich bis dahin in Sachen Beziehungen mitbekommen hatte, hat mich gestresst“, sagt sie. Mit ihrer ersten Freundin blieb sie zehn Jahre zusammen. Ein Jahr lang nur der einen treu. Dann schlug die Freundin vor, die Beziehung aufzulockern – was sollte so schlimm daran sein, wenn man sich auch in jemand anderen verliebt? „Theoretisch konnte ich mir das vorstellen“, sagt Altenhöfer. „Praktisch war ich überfordert.“ Schritt für Schritt probierten die beiden neun Jahre lang, loszulassen und trotzdem da zu bleiben. Ihr Zusammensein scheiterte dennoch. Sie hatten sich auseinander gelebt. Aber: „Wir waren beide sehr überrascht, wie schön diese Trennung war, weil von Trennungen ja sonst eher Schlechtes zu hören ist“, sagt Altenhöfer.
Mit gesellschaftlichen Moralvorstellungen zu brechen ist ihr anfangs schwer gefallen. Ihre Eltern konnten eine zuerst nicht akzeptieren, dass die Tochter lesbisch ist – und auch noch mehrere Frauen gleichzeitig liebt. „Mittlerweile haben sie ein recht entspanntes Verhältnis dazu entwickelt“, sagt sie. Sie lacht. Man dürfe das alles nicht so ernst sehen. Menschen, die ihr den Lebensstil zum Vorwurf machen, trifft die 35-Jährige nur noch selten. „Ich bewege mich die meiste Zeit in Kreisen, in denen Polyamory akzeptiert ist“, sagt sie. Wichtiger als auf bestimmte Beziehungsmuster zu beharren findet sie, für jemanden da zu sein und sich zu jemandem zu bekennen. Seit ein paar Jahren bekennt sie sich zu sieben: Nummer Eins „meine Ehefrau ohne Trauring und meine Kuschelkönigin“. Zwei: „Ich nenne sie meine heimliche Affäre“. Drei: „meine Küsserin und Brieffreundin“. Vier: „meine Co-Mutterschaft“. Fünf: „meine WG-Schwester, meine Wahlfamilie“. Sechs: „meine Seelenschwester, mit der ich gern rumknutsche“. Sieben: „meine Verlobte seit zwei Jahren, mit der es keinen Sex vor der Ehe gibt, allerdings werden wir auch nie heiraten“.
Eifersucht? Das ist etwas für Menschen, die monogam leben. Altenhöfer spürt „Resonanzfreude“, wenn andere fremdgehen: „Das ist der Freudenklang, den ich empfinde, wenn eine Person, die mir am Herzen liegt, etwas Schönes erlebt. Dann fange ich die Schwingung auf und schwinge eben beschwingt mit.“ Wer so viel Liebe hat, braucht keinen Valentinstag. Christina Wittich

Written by Christina

Februar 20th, 2009 at 11:47 am

4 Responses to 'Leser'

Subscribe to comments with RSS

  1. uuuuh…das fühlt sich aber einer gar nicht wohl in seiner Umgebung.
    Wie fühlst du dich? Wie ich dich einschätze lächelst du still in dich hinein, hab ich Recht? 😉
    liebe grüße aus Kiel! ich melde mich wegen einem Treffen, es sieht gut aus!
    claudi

    Claudia

    20 Feb 09 at 18:57

  2. Ich denke, du hast dem alten Romantiker Jürgen einfach die Illusionen genommen. Vielleicht wäre es ihm angenehmer, wenn die Dame mit vielen Männern viele Kinder zeugen würde….

    Krass: Wie wenig Aufmachung und Inhalt seines Leserbriefes übereinstimmen.

    Nebenbei: Versuchst du immer noch die Playboy-Anstellung zu bekommen? Siehe Text….

    Pierre

    Pierre

    21 Feb 09 at 18:03

  3. Das nenne ich mal wirklich liebevoll. Herzlichen Glückwunsch zu solchen Anhängern.

    Essen Bestellen

    7 Dez 10 at 12:54

  4. Sehr schöner Artkiel. Ich finde ja, dass Heinz Erhardt einer der besten Komödianten in Deutschland war.

    Michael

    23 Dez 10 at 12:54

Leave a Reply