Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Marafon

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Weit, weit weg

Über ihre Sprachen reden sie gern. Vor allem aber über sie und weniger mit ihnen. Auch nicht beim IV. Pädagogischen Kreis-Teffen in Zwetnopolje. Etwa 300 Lehrer aus dem Osmker Verwaltungsgebiet und Kasachstan trafen sich dort am vergangenen Freitag, um Methoden und Möglichkeiten des Unterrichtes in der Muttersprache zu diskutieren.

Die Mittelschule von Zwetnopolje brummt. Helles Brummen – Schüler. Dunkleres Brummen – Lehrer. Das sind die Gedanken, das ist das Lernen an diesem Tag. Schüler und Lehrer sind an diesem Freitag in etwa gleicher Zahl an der Bildungsstätte eingetroffen. Würde man, wie im Comic, eine Glühbirne über der Bildungsstätte anbringen, sie würde den Deutschen Nationalrayon hell erleuchten, so sehr wurde über die Muttersprache diskutiert.

«Dialog der Sprachen und Kulturen» ist das Thema des Treffens. Wie können die deutsche, die kasachische Kultur und Sprache in Russland neben der Russischen bestehen, gefördert und erhalten werden? – die Fragestellung. Oleg Ewaldowitsch Siss, Vorsitzender des Kommitees für Bildung im Nationalkreis Asowo sagt: «Nur, indem man die Menschen dazu bringt, auch zu Hause Deutsch zu sprechen» Er ist so etwas wie ein Bildungsminister im Ministaat. Er sagt es auf Russisch.

Früher habe man höchstens in den Schulen Russisch gesprochen. Die früheren Gemeinden sind jedoch beinahe geschlossen nach Deutschland übergesiedelt. Aus Kasachstan kamen die Neu-Asower. «Die hatten keine so enge Bindung untereinandern», sagt Siss. Wer ein bisschen Deutsch sprach, tat das nicht öffentlich – aus Angst, sich zu blamieren und aus Bequemlichkeit, weil es einfach nicht nötig war.

Die Schule allein könne nun kein Umdenken herbeiführen. Das läge schon am allgemeinen Lehrplan und der Mangel an Geld: «Für Deutsch als Muttersprache bräuchten wir im Nationalrayon mehr Unterrichtsstunden. Die können wir aber nicht bezahlen, weil wir nur soviel Geld zugeteilt bekommen, wie uns laut landesweitem Lehrplan zusteht.» Hinzu kommt Deutschunterricht in den Kindergärten, dessen Finanzierung der Rayon ebenfalls übernimmt. Insgesamt 3000 Schüler und 300 Kindergartenkinder lernen derzeit Deutsch in Asowo.

Für diese 3300 Schüler stellten sich 300 Lehrer die Frage: Wie bekommt man Jugendliche dazu, Deutsch zu sprechen, wenn sie sonst kaum die Möglichkeit haben, ihre Sprachkenntnisse anzuwenden? Ihre Antwort: Durch Spiele. Olga Franzewna Schulz übt mit ihren Kolleginnen einfache Kommunikationsspiele. Die Lehrerin ist Mitautorin am Lehrbuch «Muttersprache». In diesem Jahr bekam sie für ihr Engagement eine staatliche Auszeichung.

«Wir reden heute über deutsche Feiertage», teilt sie ihrer sehr erwachsenen Klasse mit. Die Lehrerinnen und Lehrer beugen sich über Kopien, in die sie Jahreszeiten, Monate und Feste eintragen sollen. Sie kauen auf ihren Stiften und murmeln: „Weihnachten, Neujahr, Oktoberfest.“ Manche schreiben ab. Des Rätsels Lösung lautet «Erntedankfest». Frau Schulz versucht noch ein Klassen-Gespräch über Bräuche beim Erntedankfest. Es kommt nicht recht zustande, wird unterbrochen von der Klingel. Die Zeit, sie eilt. Aber hoffentlich das Prinzip ist jetzt klar.

Die Lehrer sollens richten. Aber neue, gute Lehrer auf dem Lande sind rar. Englisch ist die Sprache der Zukunft. Also studieren Schulabgänger Englisch. «Das Interesse, Deutsch als Fremdsprache (DAF) zu studieren, hat abgenommen», sagt Svetlana Poljukova, Leiterin des Lehrstuhls für Deutsch und interkulturelle Kommunikation an der Staatlichen Pädagogischen Universität Omsk. «Früher war Deutsch sehr populär. Aber in den vergangenen Jahren befinden sich Deutsch und Französisch in einer großen Krise.»

Derzeit studieren etwa 80 Studenten Deutsch als erste Fremdsprache, weitere 100 Studenten als zweite. Wer seinen Abschluss hat, sucht sich nicht selten eine Anstellung in der freien Wirtschaft – allemal besser als eine schlecht bezahlte Anstellung als Lehrer auf dem Land.

Wer trotzdem in die Ausbildung geht, hat entweder nichts anderes bekommen oder ist sehr idealistisch. Regelmäßige Treffen wie das diesjährige in Zwetnoplje sind vor allem Motivation. Bildungsminister Siss: «Die Lehrer bilden sich weiter. Ihren Unterricht bereiten sie eigens darauf vor und entwickeln neue Lehrmethoden.» Frischer Wind also einmal im Jahr? «In Asowo finden diese Weiterbildungen häufiger statt», sagt Siss.

Die Leiterin des Lehrstuhls für Deutsch, Svetlana Poljukova, stellt nach und nach eine Verbesserung der Lehrmethoden fest. Vor fünf Jahren sei Deutsch noch wie Chemie oder Physik behandelt worden: «Man hatte seine Vorbereitung, hat den Schülern aus dem Lehrbuch diktiert und übersetzen lassen.» Sprechen hat niemand geübt. Das ändert sich allmählich. Frau Poljukowa wartet ab und hofft auf mehr Studenten und besseren Unterricht. Sie sagt aber auch: „Sibirien liegt mitten in Russland und nicht in Europa.“

 Erschienen in Ihre Zeitung Asowo

Written by Christina

November 21st, 2007 at 8:29 am

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