Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Von roten Tüchern und wehenden Fahnen

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Ich bin raus

Meine Wohnung hat mich verlassen. Die kleine Schlampe. Und natürlich hat sie nicht den Mumm gehabt, mich direkt darauf hinzuweisen, dass es aus ist. Nein, sie will mehr von diesem, mehr von jenem und vor allem mehr von meinem Geld. Schickt sie also diesen schmierigen Vertreter ihrer Interessen in unser trautes Arrangement.

Nennen wir ihn Vladimir mit der Fahne. Vladimir, diese Antiwerbung für russischen Alkohol, war schon einmal da. Ganz am Anfang dieser kurzen Beziehung. Da hat er im Schweiße seines Angesichtes meine Badarmaturen hergerichtet, damit das Wasser steter fließe. Tat es dann auch. Auf vielen Seiten des Hahns gab es viele kleine Rinnsale. Aber wer will sich denn beschweren, wenn die Wohnung ja sonst so zugänglich und freundlich ist?

Ja, Vladimir: Kaum auf meine eigene Größe gewachsen, schwarze Haare mit grauem Anstrich, trägt die bevorzugte Kleidung russischer Männer – schwarze Hose, grau gemusterter Pulli, schwarze, spitz nach vorn zulaufende Schuhe – kompakt gebaut, beinahe gedrungen, schmuddelige, glattrasierte, pockennarbige Schlägervisage, vor der stets und ständig besagtes Fähnchen weht. „Flagman“ heißt eine russische Wodkamarke und Vladimir trägt die Standarte.

Ich weiß, ich habe Fehler gemacht. Ich wollte einen Mietvertrag. Das war so unromantisch wie ein Ehevertrag. Und Unromantik, die mögen weder russische Frauen noch russische Wohnungen. Vladimir ist nun die schwarze Seele meiner hellen Wohnung, die ich mit meinen Wünschen unüberlegterweise beschworen hatte.

Tränenreich beklagte sie sich. Pfützchen über Pfützchen tropfte die Heizung auf das wellige Linoleum. Und ich wischte und wischte. Reichte ihr Handtücher, Näpfchen und Töpfchen. Irgendwann endete das Heulen und Vladimir tauchte auf.

„Christinotschka“, säuselte er ins Telefon. „Ich hab jetzt Zeit, deine Wohnung zu trösten. Bist du zuhause?“ Grund zu trösten gab es. Auch wenn es nicht mehr tropfte. Mein Zimmerchen schmollte noch immer und blieb unterkühlt. „Ich warte“, sagte ich. Kurz darauf klingelte es und der Fahnenmann grinste sich in mein Reich.

Er ruckelte am Heizungsrohr. „Ist doch alles in Ordnung. Lassen wir lieber in Ruhe, bevor es ganz kaputt geht“, sagte er und guckt sich um. „Wir müssen reden.“ Und schlich in die Küche.

Warum russische Frauen Romantik so lieben, lässt sich nur so erklären: Russische Männer kommen gleich zur Sache. Da besteht eben ein Bedarf. Auch Vladimir ließ sich nicht lange bitten. Er legte sein schwarzes Herrenhandtäschchen vor sich auf den Tisch, faltete die Hände darüber, blickte mich lange und glasig blau an und sagte: „Ab nächstem Monat will ich mehr Geld.“ Viel mehr Geld. Die Miete sechs Monate im Voraus zu zahlen. Ich müsse das verstehen, blablabla… Ich hörte nicht mehr hin. Wütend war ich. Kaum hatte ich mich gefangen, präsentierte mir Vladimir flugs das nächste rote Tuch. „Christina, trinkst du Wein?“, fragte er und griente aasig. „Ja“, antwortete ich. „Wann gehen wir denn dann einmal einen Wein trinken?“, fragte er. „Niemals“, sagte ich und verabschiedete ihn höflich.

Gestern dann hat sie die Beziehung beenden lassen. Wieder saß mir der schwarz-grau-schmuddelige Mann gegenüber. „So viel kann ich nicht zahlen. Schon gar nicht sechs Monate im Voraus“, sagte ich. Und: „Dann muss ich umziehen.“

Jetzt packe ich meine Sachen.

„Wir können doch Freunde bleiben“, gluckert meine Wohnung nun manchmal. „Kommst du vorbei und guckst hoch zum Fenster ob Licht brennt bei mir.“ Ich antworte nicht. „Wenn ich fertig bin mit dir“, denke ich nur. „Wird dein Zuhälter viel zu tun haben, dich wieder herzurichten.“

Meine neue Unterkunft? Bei einer Freundin. Wohngemeinschaft im Neubau mit Katze, warmer Heizung und fließend Wasser. Ruhige Lage. Die Straße ist gesperrt. Straßenbauarbeiten.

Written by Christina

November 26th, 2007 at 12:17 pm

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