Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Brief Nummer Zwei

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Das ABC der deutschen Weihnacht

Es gibt keine Vorfreude in Omsk, keinen Weihnachtsmarkt, keine Lebkuchen – keine Heimeligkeit. Die russische Weihnacht ist noch weit. Am 31. Dezember feiern die Russen Neujahr. Am 7. Januar dann die orthodoxe Weihnacht. Hier und da blinkert trotzdem schon ein bunt behängter Weihnachtsbaum. Vor dem Einkaufszentrum im Zentrum der Stadt, dem Torgowoi Zentr, steht eine haushohe Tanne. Nachts tauchen ihre Lichterketten den Platz in Bonbonfarben. Auch beschallt das Torgowoi Zentr seine Umgebung tagein, tagaus mit Musik. Nur nicht mit Weihnachtsliedern. Stattdessen spielen sie billigen Russenpop und Modern Talking – „Cheri, Cheri Lady“. Da will trotz Tanne einfach keine Stimmung aufkommen.

Um etwas deutsche Weihnachten zu haben, hätte ich neun Stunden und rund 600 Kilometer mit dem Zug fahren müssen. In Nowosibirsk veranstaltete das Goethe-Zentrum einen Weihnachtsmarkt, auf dem es angeblich echten Dresdner Christstollen, Lebkuchen und kandierte Äpfel gegeben haben soll. Die deutsche Gerüchteküche in Omsk brodelte. So weit reisen wollte trotzdem niemand. Wir brachten uns stattdessen selbst in Stimmung.

Wir, das bedeutet Magdalena und ich. Magdalena ist so alt wie ich, zur gleichen Zeit angereist, bleibt ebenfalls ein Jahr und arbeitet als Assistentin beim Sprachlernzentrum in Omsk. Das ist eine Außenstelle des Goethe-Institutes. Jährlich belegen etwa 500 Russen jeden Alters hier einen Deutschkurs, um sich weiterzubilden, oder um nach Deutschland einreisen zu dürfen. Ungefähr 40 Prozent der Schüler sind Russlanddeutsche. Was Advent ist, wissen trotzdem oft nur noch deren Großeltern.

Magdalena – urbayrisch und resolut – begann, das Fest zu unterrichten: Das ABC der deutschen Weihnacht. Den Abschluss bildete ein Themenabend. Glühwein und Feuerzangenbowle inbegriffen. Bis dahin war ich noch sehr damit beschäftigt, meine Kollegen im russlanddeutschen Asowo Vorfreude zu erklären. Glühwein, hier Glintwein, und Plätzchen kannten sie schon. „Wie Advent?“, fragte zum Beispiel Larissa, etwa 40 Jahre alt, klein, kompakt und immer sorgfältig geschminkt. „Wir basteln uns gegenseitig Kalender und zünden sonntags bis zum 24. eine Kerze am Kranz an und feiern“, antworte ich. „Ah, Glintwein und Kekse“, sagt sie und lacht.

 

Für ihren großen Abend verpflichtete Magdalena mich zum Basteln. Ich hatte dummerweise erwähnt, dass ich im vergangenen Jahr eine Kiste voller Fröbelsterne produziert habe und mich wahrscheinlich auch einer gewissen Fertigkeit darin gerühmt. Sie kaufte rollenweise Papierschleifenband und bestellte mich einen Tag vorher zum Probebasteln ein. Im Schnellkurs lernten ihre Vorgesetzte Oxana und vier weitere Kolleginnen, wie man vier lange Streifen umeinander wickelt, von oben nach unten knickt und steckt und schiebt und zieht. Sie hatten es genauso schnell wieder vergessen und ließen mich am folgenden Abend allein – mit 20 ihrer Schüler.

Magdalena hatte ein Krippenspiel einstudieren lassen, ein Quiz vorbereitet, „Ein Röslein ist entsprungen“ geübt und trug eine rote Weihnachtsmütze. Auf jedem Tisch im Unterrichtsraum 310 brannte eine Kerze. Sie hatte mit Selbstgebasteltem dekoriert. Ungefähr 80 Gäste waren erschienen – und hörten auf zu feixen als das Licht ausging. Als Josef und Maria und die Heiligen Drei Könige einmarschierten und später, als der blonde Engel mit Daunen am Rücken die Geburt des Christkindes verkündete war es still im Raum. Die Stille hielt etwa zwei Minuten, dann zündelte Magdalena mit Rotwein, Zucker und Rum. Zum Basteln – Fröbelsterne und Engelchen – sollte es die Bowle geben. Vielleicht war das keine so gute Idee.

Nichts klappte. Gar nichts. Oxana und Irina, die Magdalena mir zugeteilt hatte, waren verschwunden. „Wieso funktioniert das nicht?“, klagten die Olgas, Irinas und Nataschas an meinem Tisch. Neben mir nahm ich nur noch erschöpftes Seufzen wahr. „An den anderen Tischen wirkten alle so entspannt“, sagte später Oxana. „Nur bei den Sternen sahen sie so angestrengt und konzentriert aus.“ Drei Fröbel-Figuren sind fertig geworden.

Am nächsten Tag bin ich noch zum russlanddeutschen Liederwettbewerb „Weihnachtsstern“ nach Moskalenki gefahren. Moskalenki liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Omsk. Das Festival findet schon seit zehn Jahren jährlich statt. Damals haben Gruppen mit Namen wie „Phoenix“, „Nachtigall“ oder „Monika“ Weihnachtslieder gesungen. Heute schmachtet eine Korpulente im glitzerschwarzen Abendkleid „Ich war so einsam, ich will dich jetzt.“, Vladimir und Wassili singen Dschingis Khans „Moskau“. „Das zersägt einem ja die Ohren!“, schnarrt mein Kollege Artur und knipst unmotiviert ein paar Fotos. Weihnachtlich wird es erst bei Iwan Kasimir. Bekleidet mit einem rosa Hemd und ausgestattet mit roter Mütze und Glöckchen singt er „Kling Glöckchen, kling“ und läutet allein auf der großen Bühne.

Das ist Advent vielleicht nicht ganz so wie ich es kenne. Aber als ich wieder im Minibus sitze, süßen Tee und Kekse bekomme, finde ich es nicht mehr schlimm, in diesem Jahr keinen Weihnachtsmarkt besucht zu haben.

Für die Sächsische Zeitung, erschienen am 19.12. 2007

Written by Christina

Dezember 18th, 2007 at 5:33 pm

2 Responses to 'Brief Nummer Zwei'

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  1. RSS-Feeds sind eine sooo tolle Erfindung, dass ich die Zeitung schon lesen kann, bevor ich mich raus in die Kälte zum Briefkasten gequält habe. (Und ohne SZ-Online benutzen zu müssen…;-)) Das Bild ist mir lustigerweise schon gestern in der Bildstelle aufgefallen. Tjaja, die Welt ist klein. In Dresden vorweihnachtet man übrigens dieses Jahr auf dem Striezelmarkt mit Glühbier auf dem Ferdinandplatz.

    André

    19 Dez 07 at 08:45

  2. Hallo Christina!

    Ich wünsche dir trotzdem eine schöne Weihnachtszeit! Der Artikel ließt sich gut, aber auch etwas beängstigend. Ich bin absoluter Weihnachtsmarktfan und liebe die Zeit mit Räuchermännel und Glühwein. Mal sehen wie ich das in Tjumen aushalten werde.
    Wir reisen wahrscheinlich am 15. Januar aus und bis dahin brauche ich auch noch ganz dringend dicke Klamotten und ne Mütze. Meine sind jetzt schon zu dünn für den deutschen Winter und ich mag Mützen überhaupt nicht. Aber danach wird der russische Winter nicht fragen…
    Sag mal, sprichst du fließend Russisch? Wenn ja, wo hast du das gelernt? Ich habe zwar noch Vorkenntnisse aus der DDR-Schulzeit aber die sind eher mager.
    Viele Grüße noch aus München!
    Claudia

    Claudia

    19 Dez 07 at 15:54

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