Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Schwarz Rot Gold

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Abgezogen und ausgenommen

Diese Geschichte beginnt nicht im Zug. Das ist immer so banal – fährt jemand und lernt jemanden kennen, verlieren sie sich wieder. Ach wie herzzerreißend. Nein, meine Geschichte beginnt vor dem Krasnojarsker Bahnhof. Ich soll eine Woche dort zubringen. Ich bin schon angekommen und habe auch niemanden kennen gelernt, geschweige denn verloren. Ich bin vollständig mit Gepäck. Dennoch möchte ich meine Eltern bitten, an dieser Stelle nicht weiter zu lesen.

Mir ist die Sache nämlich unheimlich peinlich, geradezu unangenehm. Würde ich darüber reden, redete ich wahrscheinlich am ehesten mit einem Fremden. Es schmerzt tatsächlich weniger, dort das Furchtbare auszusprechen, als wenn Freunde oder Verwandte sagen: Das ist normal, das ist Christina.

Ich säße dann also bei einem Bier in einer schummrigen Spelunke unweit des Krasnojarsker Bahnhofs. Völlig fertig. Aufgelöst beinahe. Der Fremde – mit Vollbart und Augenklappe natürlich – setzte sich neben mich. „Mädchen, was ist los“, brummte er in Richtung meines Bieres. „Ich schäme mich“, würde ich antworten und er laut lachen. Das hat ihm nämlich schon lange keine Frau meines Alters mehr gesagt.

„Zigarette?“, fragte er. „Na dann erzähl mal, meine Hübsche.“ Musik spielte im Hintergrund. Zieharmonika und Gitarre wetteiferten um Melodie und Rhytmus. Mir tränten die Augen. Zigarettenrauch. Ich hustete.

Zigeunerinnen haben mich – ja was eigentlich? Bestohlen? Nicht wirklich. Abgezogen? Naja. Ausgenommen? Ein bisschen. Verarscht? Aber so richtig.

Ich steige aus der Bahn, die nicht die Transsibirische ist, und schleife meinen Koffer die Treppen zum Vorplatz herunter. Tock, tock, tock, dröhnt mein Gepäck in den anbrechenden Abend. Russland ist weder behindertenfreundlich noch angepasst an Behinderungen durch Koffer. Mein Ticket für die Rückfahrt habe ich bereits gekauft. „Ein entspannender Gedanke, daran nicht mehr denken zu müssen“, geht es mir durch den Kopf. Ich bin noch ein bisschen dösig, ein Tag im überheizten Abteil liegt hinter mir.

Da steht auf einmal eine Frau vor mir. Sagt irgendwas in mein Gesicht, sehr schnell, sehr ernsthaft. Bettler sind nichts Ungewöhnliches an Bahnhöfen. Ich will meine Ruhe und zücke mein Portmonee. Schnell steckt die Frau den kleinen Schein in ihren Handschuh. Und sie bleibt stehen. Geht nicht weg wie erwartet. Redet weiter und weiter. Zupft an meinen Haaren. Nimmt die drei goldenen Härchen und wickelt sie in den kleinen Schein, den ich ihr eben gegeben hatte.

Sie sagt was von rot färben in drei Tagen oder schwarz färben in drei Tagen, von Glück und Kindern irgendwie auch. Sie ist auch nicht mehr allein. Ich strecke die Hand aus, weil ich irgendwie denke, sie will vielleicht darin lesen oder das Papier-Haar-Bündel zurücklegen. „Nein, nein“, sechs Stimmen reden auf mich ein. Sechs Stimmen eingewickelt in graue Wolltücher und Lagen von Röcken. Rote und schwarze Haare struppen aus den Tüchern am Kopf. Oberlippenbärte. Dunkle Augen.

„Das muss dahin zurück, wo es hergekommen ist“, sagen sie und nehmen mir die Sache ein bisschen aus der Hand. Blättern in den Scheinen, stecken hierhin, stecken dorthin. Will ich mich wehren, also mein Portmonee, beziehungsweise den Inhalt zurück, werden sie sehr ernst. Ich fühle mich bedroht und will nicht verflucht werden. Man weiß ja nie, hört aber immer wieder.

Dann steht da so eine Dicke vor mir. Hält einen kleinen Spiegel in der Hand. Faltet mit Hilfe einer anderen Scheine, meine Scheine, zu einem Bündelchen. Und meine Haare immer mittendrin. Ich will zugreifen. Unter dem Spiegel, unter dem Spiegel ist es, ich weiß es. Aber sie sind schneller. Und sie werden wieder sehr ernst. Und dann „Phu“ macht die Frau und wirft die Arme in die Luft. „Weg ist es. Da, siehst du. Ärger dich nicht. Viel Glück wirst du haben.“

Ich bin fassungslos. Lachend verzieht sich die schrille Meute aus Wolle und flinken Fingern. „Good bye America“ rufen sie mir noch zu. „Aber ich bin doch Polin“, lüge ich laut zurück. Wenigstens ein schlechtes Gewissen sollen sie haben. Ich stehe allein und wieder in meiner eigenen Welt.

Ich wäre an dieser Stelle fertig mit Erzählen und säße wieder in der Spelunke. „Hehe“, lachte der Fremde mit Augenklappe neben mir. Sein Bier wäre leer. Der Aschenbecher voll. „Meine Mädchen. Großartig.“ Er stünde auf und hinke davon. Und ich säße dort. Wöllte zahlen und sähe in meinem Portmonee einen kleinen Schein und drei goldene, verknäuelte Haare, die sich von der Wurzel an rot färben. „Immerhin“, dächte ich, „schwarz macht mich immer so blass.“

Written by Christina

Februar 12th, 2008 at 2:26 pm

4 Responses to 'Schwarz Rot Gold'

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  1. hallo christina,

    ich habe schon einiges von dir gelesen & es macht sehr viel spaß…leider kann ich keine kontaktadresse auf deiner homepage finden und muss es nun auf diesem weg versuchen.
    ich möchte hier nicht groß und breit erklären warum ich dir schreibe, dennoch brauche ich unbedingt deine hilfe. Ab April werden mein Freund und ich auch in Omsk sein, aber wie ich sagte: ich bräuchte eine kleine einmalige orga-hilfe! mir würde ein großer stein vom herzen fallen, wenn du dich einmal meldest & ich die möglichkeit habe alles zu erklären…

    DANKE & bis bald
    Juliane

    Juliane

    13 Feb 08 at 17:57

  2. Liebe Christina,

    genauso hatte ich deine Zeit hinter dem Ural vorab als Bild im Kopf: Schmierige, alkoholsüchtige wodkasaufende Vermieter, böse russische Hexen mit Damenbart und Adidas-Liebhaber mit Goldkettchen, die für die schlammige Sommermonate ihren alten Dreier-BMW hochlegen. Und zwischendrin kämpft sich ein kleines, tapferes, blondes Mädchen durch russische Grammatik, verlassene Bahnhöfe und Wodkahöllen. Unglaublich spannend: Go Christina!

    Pierre

    Pierre

    14 Feb 08 at 10:55

  3. Lieber Pierre, schön von dir zu hören. Ich geb mein Bestes – wie du siehst. Hoffe dir und den Deinen gehts auch gut. Bis bald.

    Christina

    14 Feb 08 at 11:14

  4. Diese ,,böse Hexen mit Damenbart“,Pierre, sind keine Russinnen, es sind Zigeunerinnen. Es tut mir Leid, Christina, dass dich keiner vor Zigeuner gewarnt hat.Die sind in Russland überall und man muss sich vor ihnen in Acht nehmen.Es ist besser wenn man sie ignoriert und nicht in ihre dunkle Augen schaut. Alles Gute!!!

    maria

    14 Feb 08 at 18:55

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