Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Meine Woche in Tomsk – Teil 1

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„Iss Mädchen, iss!“

Ich bin wieder da. Ich bin erschöpft und wahrscheinlich auch um ein, zwei Kilo schwerer. Beim Blick in den Spiegel fühlt sich das so an. Besser, ich prüfe das nicht genauer nach – man will sich ja die gute Laune nicht verderben. Die besteht vor allem deswegen noch, weil ich in Tomsk bei einer tatarischen Kleinfamilie lebte, deren Hauptaugenmerk vor allem darauf lag, ihren deutschen Gast zu füttern.

Ich war Gast und der Gast ist hier in Russland eben König. König, beziehungsweise Königin zu sein hat aber auch seine Nachteile: Aus ästhetischen Gründen den eigenen Körper betreffend zu angebotenen Speisen Nein zu sagen gilt als Verstoß gegen das Protokoll. Also sagte ich Ja. Nicht einmal ungern, muss ich allerdings zugeben.

Vielleicht fange ich besser von vorn an: Am vergangenen Sonnabend bin ich nach Tomsk gereist. Ziel und Aufgabe: Gemeinsam mit den Jugendlichen des Russlanddeutschen Hauses in Tomsk einen eigenen Blog erstellen. Das Haus feiert demnächst seinen 15. Geburtstag und wir dachten, das wäre mit Sicherheit ein guter Anlass.

Ich verpasste beinahe meinen Zug, weil das Tauwetter in Omsk eingesetzt hatte und das Wasser wadenhoch vor meiner Haustür stand. Mein Taxi soff beinahe ab und ich hatte nasse Füße, als ich in letzter Minute aufs Gleis rannte.

14 Stunden fahrt gehen ziemlich schnell vorbei, wenn man nachts fährt. Ich kam an, roch mit Sicherheit nicht mehr besonders angenehm und durfte gleich loslegen mit der drögen Theorie. Meine Gastschwester Elanara, eine der Teilnehmerinnen, nahm mich trotzdem mit zu sich nach Hause.

Sie lebt in einem Cottage ein bisschen außerhalb von Tomsk. Ihre Mutter ist die Direktorin der Stadtwerke. Eine kleine, energische Frau, Tatarin, also von den Ureinwohnern Sibiriens abstammend.

Am Wochenende vor meiner Ankunft hatte sie noch ein Familienfest in ihrer riesigen Küche ausgerichtet. Und mit den Resten dieser Feier begann mein Anti-Fasten. Es waren noch übrig: Torte, diverse Salate, eingelegte Gurken, eine Art Kuchen aus Leber-Blini und Smetana und Kuhsülze. Schwein gibt es in diesem Haushalt höchstens als Schimpfwort. Alfia, so heißt die Mutter und die übrige Familie sind Muslime.

Ich schlemmerte trotz der Leber den Kuchen, futterte mich durch die hausgemachten Salate und passte letztendlich bei der Sülze. Ich wollte ja. Aber trotz scharfen Tomsker Senfes schmeckte ich was und das gefiel mir nicht. Die beiden beobachteten mich derweil aufmerksam. Ich durfte die Gabel zur Seite legen als mein Gesichtsausdruck Übles versprach.

Die kommenden Tage waren gekennzeichnet durch morgendliches Kascha – Grießbrei – oder Spiegelei mit Wurststulle, mittags Essen in der Stolowaja und abends eine warme Mahlzeit.

Am zweiten Tag lernte ich das tatarische Wort für Oma – Abika. Abika kam und kochte, wie sollte es anders sein. Sie kochte Mantei, Maultaschen gefüllt mit Karzoffel, Speck und zartem Rind. Sie kochte sehr viel und erklärte mir derweil, warum Muslime kein Schwein essen. Kurz gesagt, sie essen es nicht, weil es sich im Dreck siehlt. „Wir essen aber Pferd, weil das den Dreck mit den Hufen beiseite scharrt“, sagt sie. Klingt einleuchtend.

Sie erklärte mir auch, dass es eigentlich egal ist, wie man seinen Glauben nennt, letztendlich beten alle, die glauben, doch nur zu einem Gott. In Bezug auf die aktuelle Debatte in Europa finde ich das mal ein überzeugendes Argument.

Ihre Mantei waren lecker. Wir aßen sie drei Tage lang, morgens und abends. Zum Abschied gab es reichhaltigen Kartoffelbrei mit gebratenen Nierchen, Hühnchenbuletten und Fisch. Als Beilage Krautsalat und zum Nachtisch Schokotorte.

Gemästet wie eine Martinsgans brachten sie mich zum Zug. Ich mach jetzt erstmal Sport und Diät.

Tomsk Familie Iekanbarowa

Written by Christina

März 31st, 2008 at 6:47 pm

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