Stimmungsschwankungen

“Well, what if there is no tomorrow? There wasn’t one today.”

Russisch denken II

one comment

Dienstag Lautes Klopfen weckt mich gegen zehn Uhr morgens. Ich bin leicht verkatert und will schlafen. Anja, traurig, unterwürfig, aufmüpfig und leidend zugleich, steht an der Tür und will mit mir reden. Ihr störrisches schwarzes Haar hat die 40-Jährige zu einem Zopf geflochten, die dunklen Augen blicken erschrocken durch eine große goldgerandete Brille. Die schmale Gestalt scheint im selbstgestrickten schwarzen Pulli zu frieren, die dünnen Beine beinahe wegzuknicken. Warst du schon bei der Polizei, wirst du noch hingehen – bestürmt sie mich mit Fragen. Ich weiß nicht, was sie von mir will. Vielleicht hat sich der nervöse Polizist an die gewinnbringende Drogenhölle im Hostel erinnert und besteht nun darauf, dass ich in seinem Büro erscheine und sein Gehalt aufbessere. Ich fange an zu schimpfen, als mich Anja unterbricht und mir weinerlich mitteilt, dass sie heute morgen von einem wütenden Anruf der Direktion geweckt wurde.

Warum die Polizei da war, wollte der Herr Direktor wissen, was für ein Handy gestohlen wurde, wie hoch die Versicherungssumme ist. Wie sollte die Gute das wissen? Und da ihre Antworten ganz offensichtlich nicht ausreichten, füllten der Herr Direktor und sein Mitarbeiter ihre Wissenslücken mit altem KGB-Verschwörungsschotter. Ihre Theorie, erläutert mir Anja sei, dass sie und ich unter eine Decke steckten. Sie habe sich mit einer Ausländerin verbündet, um deren Versicherung mit Hilfe eines nichtsahnenden Polizisten um einen immens hohen Betrag zu prellen. Das Handy ist natürlich noch vorhanden. Das Geld wahrscheinlich schon überwiesen. Weil das, so die Direktoren, illegal, beinahe schon spionageverdächtig ist, müsse das Hostel, Teil des großen Scherstone-Hotel-Komplexes, geschlossen werden. Beinahe bricht Anja in Tränen aus und beschwört mich, nicht zur Polizei und schon gar nicht zur Versicherung zu gehen. Ich verstehe die Welt nicht mehr, merke aber, wie Wut in mir hochsteigt. Wut auf diese selbstgefälligen, verbohrten Betonschädel, die sich durch die Jahrzehnte verschiedener Regimes und Vorgesetzter geschleimt haben, deren Rückrat vom vielen Kriechen krumm, deren Füße vom Treten verhornt sind. Ich will zum Direktor. Sofort! Wenn jemand über mich reden möchte, dann bitte mit mir.

Anja verschwindet irgendwo. Auf dem Flur kommt mir ein Mann entgegen: Ein Kopf kleiner als ich, die aschblonden Haare lichten sich dort, wo er sonst wahrscheinlich einen Hut trägt. Die Haut wirkt grau und unsauber. Die kleinen Knopfaugen sind dunkel und kalt. Er trägt einen billigen grauen Anzug, der an ihm um eine Nummer zu groß erscheint. Als er den Mund aufmacht um zu grüßen, sehe ich silberne und goldene Zähne. An einigen Stellen fehlt das Edelmetall. Er fragt mich ob ich diejenige bin, der das Handy gestohlen wurde. Ich bejahe. Er dreht sich um und geht. Als ich ihm folge begegnet mir Anja wieder.

Sie wurde nicht zum Direktor vorgelassen und beginnt nun, auf dessen wieselgl;eichen Mitarbeiter – Pawel – einzureden. Unterwürfig, die Hände vor dem Bauch verschränkt, den Kopf gesenkt, die Zehen scheinen sich durch die Schuhe in den Teppich zu krallen, bittet sie ihn, beschwört sie ihn, bettelt. Du bist unwichtig, brüllt er sie an. Du verschwendest meine Zeit! Ich stehe daneben und existiere nicht. Ich bin zahlender Gast, das hat Pawel mittlerweile vergessen, sollte es ihm jemals bewusst gewesen sein. Anja weint nicht. Anja schmiegt sich an mich und teilt mir mit, der Direktor wolle uns nun doch sehen. Mehr und mehr beschleicht mich das Gefühl, Statist in einem schlechten Film zu sein. Wie Schulkinder, die eine Scheibe zerschlagen haben, geleitet uns Pawel durch die vergitterte Tür zum Direktorenbüro. Mitleidig blickt uns der Wachmann hinterher.

Auf dem Tisch der Sekretärin liegt bereits ein Bericht, daran geheftet ein Zettel mit meiner Passnummer und der Registrierung. Sie bringt den Bericht in das enge Büro des Hoteldirektors. Ukolow Wassili Alexejewitsch sitzt dick und träge hinter einem massiven Schreibtisch. Beide, Ukolow und der Schreibtisch scheinen Relikte aus einer alten Zeit zu sein. Aus verquollenen Augen blickt mich der alte Mann an und begrüßt mich auf Deutsch. Er verstehe Deutsch sagt er, nur sprechen könne er nicht, ihm fehle die Praxis. Er bittet uns, Platz zu nehmen. An der Wand vor dem Schreibtisch steht eine Reihe unbequemer Stühle. Für einen groß gewachsenen Menschen wäre dieser so freundlich angebotene Sitzplatz die reinste Folter. Wie ein gehorsamer Kläffer nimmt Pawel neben der Tür Platz.

Ukolow liest in meinem Bericht, und schaut mich danach streng an. Ich solle ihm erklären, was genau geschehen sei in der Nacht, in der mein Handy verschwand. Anja übersetzt mit monotoner Stimme vom Russischen ins Englische, vom Englischen ins Russische. Ich schmücke meine Ausführungen mit allerhand Details aus. Irgendwann hat der Herr Direktor genug von meiner Erzählwut und möchte wissen, wie hoch denn die Summe sei, die ich von meiner Versicherung erwarten könnte. Wahrheitsgemäß sage ich ihm, ich wisse es nicht. Wahrscheinlich, füge ich hinzu, bekomme ich sowieso nichts, weil die Tür zum Zimmer nicht abgeschlossen war.

Weder Direktor Ukolow noch sein Mann für die schmutzige Wäsche scheinen mit dieser Antwort zufrieden. Der dicke Mann hinter dem Schreibtisch beginnt, sich für mein Visum zu interessieren. Warum ich in Russland sei, fragt er mich. Ich erzähle ihm von meiner Diplomarbeit. Er versteht nichts, bekommt aber Angst um den guten Ruf seines Hotels. Ich solle nicht darüber schreiben, verlangt er von mir. Ich erkläre ihm, dass ich mich im Rahmen meiner Diplomarbeit mit wichtigeren Dinge beschäftige. Ukolow Wassili Alexejewitsch starrt mich an, als wolle er, wie zu Kinderzeiten, den Indianerblick ausprobieren. Wer zwinkert wohl zuerst? Ich mache mit und bekomme langsam Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Direktors. Wo hat er das gelernt? Warum hypnotisiere ich diese Kröte?

Anja hat nichts mehr zu übersetzen. Wir sitzen da und schweigen. Der Direktor möchte das Gespräch für beendet erklären. Mir fällt noch etwas ein: Auf Deutsch erkläre ich dem Mann, wie viel ich von dieser Form der Kundenbetreuung halte. Die Stirn in Falten gezogen lauscht er mir, Pawel vergisst, den Mund zu schließen und Anja starrt auf ihre Hände. Ich bin fertig, Ukolow scheint einen Moment lang zu überlegen. Dann entschuldigt er sich für alles, was vorgefallen ist. Sollte ich jemals wieder ein Problem in diesem Hotel haben, solle ich mich direkt an ihn wenden. Ich bedanke mich.

Anja bleibt im Büro. Pawel geleitet mich zur vergitterten Tür. Wie es war, will der Wachmann wissen. Ich bin im Recht, sage ich ihm.

Written by Christina

Oktober 15th, 2006 at 7:17 pm

Posted in Alle,Russland

One Response to 'Russisch denken II'

Subscribe to comments with RSS or TrackBack to 'Russisch denken II'.

  1. Liebe Christina! Du schreibst wirklich gut… und ich leide ein bisschen mit und sehe Dich da – allein auf einem zermatschten Weg.Bist Du jetzt noch unterwegs? Immerhin ist es schon anfang November. Grüße aus der tristen Heimat von Joachim

    Joachim

    5 Nov 06 at 20:33

Leave a Reply